Collettiva
Kuratorinnen
Paloma Ayala bespielt die erste Kunstkasten-Ausstellung im Jahr 2021 mit «Dear Schaffhauser_Innen, This is Bread» (14.3. – 29.5.2021)
„This is Bread“ ist mehr als ein simples Brott
Die Künstlerin Paloma Ayala, die im Aargau lebt, schenkt Schaffhausen für die nächste Kunstkasten-Ausstellung ein Brot. Es besteht aus Mehl, aber auch aus Moos und Spitzmauskacke. Essbar ist es also nicht unbedingt. Dafür erzählt es Geschichten von arbeitenden Frauen, von Beton-Multis und von der fruchtbaren Erde, die unserem Rhein hier eigen ist.
Einst wollte ein Präsident eine Grenzmauer bauen zwischen den USA und Mexiko. Ein Milliardenauftrag. LafargeHolcim, grösster Schweizer Zementhersteller, bot Hand für diese gigantische Abschottung, die Völker und Natur hätte teilen sollen.
Ganz am anderen Ende der Welt, hier in der Schweiz, kauft derweil die Künstlerin Paloma Ayala Ziegelsteine von eben diesem Beton-Konzern. Daraus baut sie Öfen entlang des Rheins und kocht darin allerlei Dinge, die sie in der fruchtbaren Umgebung des Flusses findet.
So entsteht das Brot, welches nun in der Auslage der Schaffhauser Kunstkästen liegt. Das Brot als Gegenteil zur Grenzziehung quasi; fast überall auf der Welt isst man Brot, es hat etwas Völkerverbindendes.
Der Fluss als Lebensader für Bäuerin und Konzern
Paloma Ayala kennt die Grenze zwischen Mexiko und den USA gut. Sie wuchs selbst im Norden von Mexiko, in Matamoros auf. Der Río Bravo, in den USA Río Grande genannt, teilt die Stadt in der Mitte. Der eine Teil ist mexikanisch, der andere amerikanisch. Die Hälfte von Ayalas Familie lebt diesseits des Flusses, die andere jenseits. Ayala sagt zu dieser geografischen Lage: „Ich bin seit meiner Geburt Migrantin“
Ayala lebt inzwischen seit Langem im Aargau. Flüsse spielen in ihrer Kunst aber immer noch eine wichtige Rolle. Sie entdeckt Parallelen in den menschlichen Geschichten, die sich rund um den Fluss abspielen und in der Bedeutung, die der Fluss für Lebewesen hat. Diese Geschichten gibt sie in ihrer Arbeit wieder. Liebevoll spricht Ayala über ihre Familie, selbstversorgende Bäuer*innen, für die der Fluss eine Lebensader ist. Gleichzeitig redet sie von einer „kannibalistischen Art“, wenn sich die Menschen mit Häfen und Wasserkraftwerken den Fluss zu eigen machen „und die Politik mehr zählt, als das, was unter der Brücke passiert“. Wenn eben Betonkonzerne die fruchtbaren Böden immer mehr aushöhlen, bis kein Leben mehr bleibt.
Ayala freut sich sehr über die Kunstkasten-Anfrage aus Schaffhausen – eine Stadt mit Fluss, und erst noch ein Grenzfluss! Während des ersten Lockdowns verbringt die Künstlerin Zeit mit Spaziergängen entlang des Rheins. Sie sammelt Kartoffeln und kocht die in den selbstgebauten Öfen oder tauscht sich mit Anwohner*innen aus. Zusammen mit anderen Künstlerinnen veranstalten sie Rituale am Fluss und entdecken so seine Topographie und Geschichte.
Das Brot ist urfeministisch
Auf einem der Streifzüge stösst Ayala auf eine Kiesgrube von LafargeHolcim. Und da entsteht die Idee fürs Schaffhauser Kunstprojekt. Sie studiert intensiv das Material, welches die Natur hergibt. Schneckenhäuschen, Federn, ein Teil eines Uferschwalbennests zeugen vom mannigfaltigen Leben in der Grube. Unter anderem findet die Künstlerin Eicheln. Ayala erinnert sich, wie ihre Mutter sie früher in Mexiko regelmässig an einen Ort brachte, wo Frauen Eichelbrot herstellten.
Aus all den Zutaten der Kiesgrube bäckt Ayala nun also ein Brot. Für die Ausstellung schenkt sie es den Schaffhauser*innen zusammen mit einem Brief. Darin findet sich das ungewöhnliche Rezept für das Brot. Ganz schlicht heisst das Werk „This is Bread“. Aber es ist eben nicht einfach Brot. Es ist entstanden aus der fruchtbaren Erde unserer Umgebung.
Und Ayala mit ihrer Herkunft aus einer bäuerlichen Familie sagt uns damit sicher auch: Schenkt der Natur mehr Aufmerksamkeit. Und auch wenn ihr dieses Brot selbst nicht essen könnt (und wollt...), so ist es stattdessen vielleicht Nährboden für ganz andere Lebewesen. Gleichzeitig ist dieses Brot, in dem Abdrücke von arbeitenden Daumen erkennbar sind, eine Reminiszenz an Ayalas Vorfahrinnen. Sie haben ihre Arbeit und ihre Körper gegeben, um Generationen von Menschen zu ernähren. Das ist das feministische Kapital. In diesem simplen Brot macht Ayala die Arbeit dieser Frauen sichtbar und vielleicht auch die Arbeit und Geschichten von all den Frauen auf der Welt, die sonst unsichtbar bleiben.